die fotoserie mit dem titel „wasted lives“ ist dezember 2020 auf lesbos entstanden. der innsbrucker bischof besuchte diesen ort, um einen persönlichen faktencheck vorzunehmen. die humanitäre tragödie im flüchtlingslager kara tepe ii auf der griechischen insel lässt sich schwer beschreiben. es ist eine kulturschande für europa, dass menschen mit erschütternden schicksalen in einem notlager festgehalten werden, das nicht dem standard europäischer flüchtlingskonvention entspricht.
abseits vom lager fand glettler ein weiteres zeugnis für die verhängnisvollen tragödien, die sich hinter den abstrakten begriffen wie migrationsbewegungen und flüchtlingsströmen abspielen. er entdeckte einen abgelegenen friedhof im freien feld, der von spontaner verabschiedungskultur, einigen privaten grabbauten, aber auch von einer offenkundigen verwahrlosung geprägt ist. ein feld der verworfenen.
der titel „wasted lives“ bezieht sich auf ein wichtiges buch des polnischen soziologen zygmunt bauman, der die strukturelle ausgrenzung von menschen in unterschiedlichsten armutssituationen und von menschen auf der flucht nachzeichnet. man will von ihnen nichts wissen. bauman zeigt auf, dass produktionsprozessen gleich bestimmte menschen einfach als „abfall“ bezeichnet werden und sich darum auch niemand um ihr wohl zu kümmern hat. wir alle sind teil dieser desensibilisierung, die eine schleichende werteverschiebung bewirkt. eine menschliche wahrnehmung, die weder einer politisch motivierten verharmlosung noch einem unstillbaren voyeurismus des elends verfällt, wäre heilsam. die vom künstler bearbeiteten und am beginn der fastenzeit erstmals präsentierten fotos sind einer solchen wahrnehmung verpflichtet.